Einleitung

Weshalb wir uns mit Trends beschäftigen sollten

Der Zeitraum, in dem sich das Wissen der Menschheit verdoppelt, wird immer kürzer. 1950 waren es 50 Jahre, 1980 sieben Jahre, 2010 knapp vier Jahre. Expert:innen schätzten, dass sich das Wissen im Jahr 2020 innerhalb von nur 12 Stunden verdoppeln wird.

Unsere Ära: Sie ist eine Ära der Informationsexplosion. Analog verkürzen sich Wissen, Rahmenbedingungen und Entscheidungen. Geprägt durch die Digitalisierung, Globalisierung, demografische Veränderungen und Ressourcenknappheit wird die moderne Wirtschaftswelt heute oft mit dem militärstrategischen Begriff «VUCA» umschrieben.

Erstmals 1985 von den Wirtschaftswissenschaftlern und Universitätsprofessoren Warren Bennis und Burt Nanus beschrieben, verbergen sich hinter der Abkürzung vier Dimensionen:

Volatilität: Die Schnelllebigkeit dominiert unseren digitalisierten Alltag. Schwankungen aufgrund der globalen Verflechtung haben zugenommen. Veränderungen verlaufen längst nicht mehr nur linear. Jüngstes Beispiel sind die Marktentwicklungen nach dem Lockdown in China oder die Auswirkungen nach dem Brexit.

Unsicherheit: Ereignisse werden schwerer vorhersehbar. Neue Entwicklungen erscheinen gefühlt aus dem Nichts. Entsprechend schnell können Disruptionen ganze Märkte von heute auf morgen verändern. Klassische Beispiele hierfür sind die Auswirkungen von Uber auf den Taximarkt oder Airbnb auf die Hotellerie.

Komplexität: Bei Entwicklungen haben die Einflussfaktoren zugenommen. Diese stehen zudem in gegenseitigen Abhängigkeiten zueinander. Pläne sind kaum mehr 1:1 umsetzbar. Organisationen sind immer häufiger international tätig. In diesem Zusammenhang sorgen beispielsweise die verschiedenen Kulturen und unterschiedlichen Vorschriften in gewissen Weltregionen für zunehmende Komplexität.

Ambiguität: Vermeintlich einfache Lösungen helfen bei aktuellen Herausforderungen kaum weiter. Wir müssen uns deshalb immer häufiger dem Unbekannten stellen. Und das in einer Umgebung, in der es keine einfachen Antworten gibt. Beispiele hierfür sind Alltagsherausforderungen, die oft nicht mit einem einfachen «entweder … oder»-Ansatz, sondern vielmehr mit einem «sowohl … als auch» beantwortet werden können.

Mit anderen Worten: Wir erleben heute täglich Situationen, in welchen wir uns nicht mehr auf bewährte Methoden aus der Vergangenheit verlassen können. Zudem hat die Covid-Pandemie in den vergangenen Jahren wie ein Katalysator gewirkt und diese Dimensionen umso stärker angekurbelt.

«Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung», wurde bereits vor 2500 durch den griechischen Philosoph Heraklit überliefert. In den darauf­folgenden Jahrhunderten versuchte jede Gesellschaft ihre eigenen Antworten auf die konstante Veränderung zu finden.

Wer in der heutigen schnelllebigen und unsicheren Welt trotzdem Erfolg haben will, kommt nicht umhin, sich mit Trends auseinanderzusetzen. Dazu gehört, diese frühzeitig zu erkennen, zu verstehen und mit der angemessenen Bedeutung für die eigene Organisation einordnen zu können.


Was sind Trends, Hypes und Megatrends?

Trends beherrschen unseren Alltag und prägen unsere Verhaltensweisen. Trotzdem lassen sich Trends kaum direkt beeinflussen. In der Theorie wird ein Trend als statistisch erfassbare Veränderung von Phänomenen beschrieben. In den Sozialwissenschaften stellen Trends Indikatoren für Veränderungen von Werten und Verhaltensweisen dar. In der Konsumbranche geschieht dies fast täglich: Nur wenn eine möglichst grosse Gruppe an Meinungsführer:innen ein altes durch ein neues Produkt ersetzt, wird dieses neue Produkt zum Trend.

Branchen unterscheiden sich stark im Umgang mit Trends. Gewisse Geschäftsbereiche (z. B. Mode, Lebensmittel, Lifestyle) sind stärker von Trendentwicklungen betroffen als andere. Mit dem Einfluss der Digitalisierung und des demografischen Wandels gehört die Medien- und Kommunikationsbranche ebenfalls zu den von Trends stark geprägten Branchen.

Zur Einschätzung neuer Trends – vor allem im Technologiebereich – hat sich der «Hype Zyklus» des US-amerikanischen Marktforschungsunternehmens Gartner etabliert. Die Darstellung, die an eine Berg- und Talfahrt erinnert, orientiert sich am Amara-Gesetz. Namensgeber war der amerikanische Zukunftsforscher Roy Amara. Dieser prägte den Ausspruch:

«Wir neigen dazu, die Wirkung ­einer Technologie kurzfristig zu überschätzen, langfristig aber zu unterschätzen.»

Roy Amara

Nach dieser Logik durchlaufen neue Technologien – wie z. B. 3-D-Drucker, Drohnen und Virtual Reality – fünf Phasen des Hype-Zyklus’:

  1. Technologischer Auslöser: In dieser ersten Phase bringt ein potenzieller technologischer Durchbruch die Dinge ins Rollen. Oft gibt es in dieser Phase noch keine brauchbaren Produkte, doch frühe Medienberichte lösen beachtliches Interesse aus.
  2. Gipfel der überzogenen Erwartungen: Plötzlich überschatten einige wenige Erfolgsgeschichten die zahlreichen Misserfolge. Übertriebener Enthusiasmus und unrealistische Erwartungen prägen diese Phase.
  3. Tal der Enttäuschungen: Ausgelöst durch erfolglose Implementierungen und überhöhte Erwartungen lässt das Interesse schnell nach – der Hype bricht in sich zusammen.
  4. Pfad der Erleuchtung: Abseits der grossen Öffentlichkeit zeichnet sich langsam der Nutzen einer neuen Technologie etwas deutlicher ab. Es entsteht ein Verständnis für die praktische Umsetzung und die Grenzen der Neuerung. Unternehmen beginnen, realistische Pilotprojekte zu ­finanzieren.
  5. Plateau der Produktivität: Sobald die Vorteile überwiegen und es sich für Unternehmen aus finanziellen Gründen lohnt, erreicht eine Technologie diese letzte Phase.


Quelle: Gartner (https://gtnr.it/3hBUSDB)

Trends können auch über lange Frist wirken. Beeinflussen Trends über mehrere Jahre die Wirtschaftswelt, Politik und Gesellschaft werden daraus Megatrends. Als «Lawinen in Zeitlupe» umschreibt das deutsche Zukunftsinstitut diese Megatrends. Weil sie sich zwar sehr langsam entwickeln, aber enorme Veränderungskräfte aufbauen können. Unter Megatrends kann man sich die Globalisierung, Individualisierung, Konnektivität, veränderte Mobilität oder Urbanisierung vorstellen.


Generationen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt: 2022 wird die Generation der Millennials den grössten Anteil auf dem Arbeitsmarkt ausmachen. https://bit.ly/3hBGhs5

 

Wer löst Trends aus?

Die Geschichte zeigt: Trends sind immer ein Abbild der jeweils aktuellen Zeitepoche. Sie können an unterschiedlicher Stelle ausgelöst werden. Angebot und Nachfrage, neue Regularien und auch Spekulationen führen vielfach zu Trends. Während Unternehmen vor allem technologische Trends anstossen, werden gesellschaftliche Trends oft durch heranwachsende Generationen geprägt.

2022 war das Jahr, in welchem rein digital sozialisierte Generationen (die Digital Natives) erstmals die übrigen Generationen (die Digital Immigrants) auf dem Schweizer Arbeitsmarkt überholen. In den USA lösten die Millennials die Babyboomer bereits 2019 als grösste Gesellschaftsschicht ab.

Die durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungen sind tiefgreifend. Entsprechend stark beeinflussen die digitalen Generationen die gesamte Gesellschaft. Die Digital Natives mit den Jahrgängen 1980 bis 2012 vereint eine Denkweise, welche sich substanziell von der bisher vorherrschenden Kultur unterscheidet.

Was bedeutet das nun für uns persönlich? Jede:r liebt Veränderungen – nur nicht bei sich selbst. Dieses Phänomen beschrieb 1999 bereits der britische Autor Douglas Adams (Per Anhalter durch die Galaxis).

Er beschreibt den persönlichen Umgang mit Veränderungen und Trends so:

«Alles, was bereits auf der Welt ist, wenn wir geboren werden, ist ganz normal. Alles, was bis zum 30. Lebensjahr erfunden wird, ist unglaublich aufregend, kreativ und mit etwas Glück kann man daraus eine Karriere machen. Alles, was nach dem 30. Lebensjahr erfunden wird, werten wir als Angriff auf die natürliche Ordnung der Dinge.»

Douglas Adams

Kein Wunder, dass 2020 «lost» (verloren) und 2021 «cringe» (so peinlich, dass man sich dafür fremdschämen muss) zu den Jugendwörtern des Jahres in Deutschland gewählt wurden. Vor allem mit Blick auf Krieg in Europa, Klimakrise und gesellschaftliche Ungerechtigkeiten fühlen sich manche Angehörige der Generationen Y und Z «lost» oder schämen sich gar fremd.

Das löst natürlich Reaktionen aus. In den USA werden diese jüngsten Generationen polemisch auch als «Snowflake-Generation» bezeichnet. Ihr wird unterstellt, dass sie extrem sensibel, emotional verletzlich und wenig resilient sei.

Ob sensible Schneeflöckchen oder nicht: Die jüngsten Gesellschaftsschichten prägen die grossen Narrative unserer Zeit bereits. Narrative sind nichts ­anderes als ausformulierte Trends. Erzählungen, die den Startschuss für ­Veränderungen in der Politik, Wirtschaft und der gesamten Gesellschaft ankündigen.


Wie funktioniert Trendforschung?

Als die Trendforschung in den 1970er-Jahren vor allem in den USA erstmals Aufmerksamkeit erhielt, rümpften viele Wissenschaftler:innen die Nase. Der Vorwurf: Die Trendforscher:innen würden sich nicht an wissenschaftliche Standards halten und stattdessen ihre Intuition walten lassen.

Unterdessen hat sich die Trendforschung professionalisiert und in unterschiedliche Genres weiterentwickelt: Ob prophetisch (z. B. in der Science-Fiction-­Literatur), kreativ (z. B. im Mode- oder Lebensmittel-Bereich), publizistisch (mittels Trendreports in Medienpublikationen) oder auch wissenschaftlich (auf Basis von Meinungs- und Marktforschungsinstituten) – sämtliche Formen der Trendforschung haben inzwischen ihre Berechtigung.

Die Ausdifferenzierung ist ein weiterer Beweis für die Popularität der Trendforschung. Viele Menschen fürchten sich und sind gleichzeitig fasziniert von der Zukunft. Organisationen, die Trends mitverfolgen und Entwicklungen antizi­pieren, können schneller als die Konkurrenz reagieren – oder noch besser: Sie bestimmen selbst den Lauf der Dinge und werden so zu Branchenvorreitern.

Die am häufigsten angewandten Methoden in der Trendforschung sind die gerichtete Beobachtung (Monitoring), die ungerichtete Suche (Scouting) sowie die Inhaltsanalyse. Hierbei werden Studien und Berichte inhaltlich analysiert und miteinander verglichen. Diese Methode wurde auch in diesem Buch angewandt.

Um die Wirkung und Halbwertszeit von Trends auf die Medien- und Kommuni­kationsbranche besser interpretieren zu können, sind Bewertungskriterien notwendig. Dabei orientieren wir uns hier an den Trend-Dimensionen von ­Eva ­Bovenkerk. Folgende Kriterien führten zur Auswahl der in diesem Buch vorgestellten Trends:

– Zeit: Wie lange dauert die Entwicklung, Etablierung und Auflösung des Trends?

– Entwicklungsdynamik: Wie intensiv und disruptiv wirkt sich der Trend auf die Medien- und Kommunikationsbranche aus?

– Qualität und Intensität: Wie stark ist die Anziehungskraft des Trends auf die Medien- und Kommunikationsbranche?

 

Was diese Trendanalyse leistet

In diesem Buch konzentrieren wir uns nicht auf die kurzfristigen Hypes. Vielmehr wurden technologische, ökonomische und gesellschaftliche Trends ausfindig gemacht, welche die Medien- und Kommunikationsbranche auch in den nächsten Jahren noch beschäftigen werden.

Trends lassen sich kaum in Jahreszyklen einteilen. Deshalb hat die Trendforschung nicht das Ziel, Trends und deren Verläufe möglichst genau vorherzusagen, sondern längerfristige Phänomene sichtbar zu machen und diese einzuordnen.

Längst können sich nicht alle Organisationen eigene Trendforschungs-Abteilungen leisten. Dennoch ist es überlebenswichtig für Unternehmen, dass wir uns alle mit den akuten Veränderungen und Herausforderungen der eigenen Branche auseinandersetzen. Auswertungen zeigen, dass Unternehmen, die aktiv in Innovationsprozesse und Trendanalysen investieren, bis zu einem Drittel höhere Umsätze erzielen können.

Trends helfen uns auch auf persönlicher Ebene, unsere eigenen Zukunftsentwürfe zu visualisieren. Wer sich mit Trends auseinandersetzt, kann einfacher Bilder der Zukunft erstellen, Zukunftsängste abbauen und das eigene Umfeld für Veränderung begeistern. Diese Trendanalyse kann dazu das notwendige Werkzeug darstellen.